Matthias hatte den Kopf zur Seite gelegt, er nahm den Keller mit seinen verbliebenen Sinnen wahr, erspürte die Umgebung, roch die Luft, doch das reichte ihm nicht. »Was ist hinter uns?«
Meine Taschenlampe erfasste drei grau-weiß gestreifte extrem große und dicke Kissen. Beim Nähertreten begriff ich, dass das Grau ursprünglich Blau gewesen war und nur durch die allgegenwärtige
Schmutzschicht eine andere Farbe angenommen hatte – und dass es keine Kissen waren.
»Drei Matratzen, nebeneinander schräg an die Wand gelehnt. Die passen ziemlich sicher genau auf das Bettgestell gegenüber.« Ich erinnerte mich an lange zurückliegende Schulferien, in denen ich im
Bett meiner Urgroßmutter übernachtet und versucht hatte, auf den unbequemen Matratzenteilen zu schlafen.
»Warum stehen die da hinten getrennt vom Bett?«, durchbrach Matthias meine Erinnerungen. »Kannst du sonst noch was erkennen?«
Zögernd streckte ich die Hand nach der Matratze rechts außen aus. Sie fühlte sich staubig an. Dann spürte ich etwas auf meiner Hand. Da krabbelte was. Ein Käfer! Groß wie ein
Zwei-Euro-Stück!
Instinktiv gab ich einen kleinen Aufschrei von mir, riss meine Hand weg, schüttelte angewidert das Tier ab, ließ dabei die Taschenlampe fallen und stolperte gegen Matthias, der mich
festhielt.
»Spinne?«, fragte er sehr leise und sehr amüsiert.
»Ist was passiert?«, rief Arvid besorgt.
Ich schaute hoch und sah schon seinen Fuß auf der Leiter.
»Alles in Ordnung.« Den Blick wieder gesenkt fuhr ich fort: »Dein Bruder gefällt sich doch nicht so in schimmernder Rüstung, eher in ...« Ich brach ab.
Der Lichtkegel meiner am Boden liegenden Taschenlampe fiel auf etwas, das hinter den Matratzen hervorlugte.
»Worin?«, hörte ich Arvid wie durch Watte fragen. Nur am Rande bekam ich mit, dass er fast neben uns stand.
Jetzt hatte auch Matthias bemerkt, dass etwas nicht stimmte. »Greta?«
»Da ...«, krächzte ich. »Da ist ...«
»Was?«, fragte er alarmiert.
Wortlos deutete ich auf den Fußboden.
Scharf sog Arvid Luft in die Lungen und brachte genauso wenig wie ich fertig, etwas zu sagen.
»Zur Hölle noch mal, könnte jemand von euch freundlicherweise den Mund aufmachen?«, verlangte Matthias, für den es trotz des Taschenlampenstrahls viel zu düster war, um etwas zu erkennen.
»Gleich«, sagte Arvid. »Wir müssen uns das erst richtig ansehen.« Und zu mir gewandt: »Hilf mir mal, die ist reichlich sperrig.« Er ächzte verhalten, während wir gemeinsam die Matratze zur Seite
schoben, was mir verriet, dass er seinen Sturz doch nicht so einfach wegsteckte.
Mein Blick glitt zurück zu den löchrigen Socken, aus denen vorn Knöchelchen hervorschauten und am oberen Ende Gebeine herausragten. Etwas klebte daran. Reste eingetrockneten Fleisches? Es war
schwer zu erkennen, und ich war nicht wild darauf, das näher in Augenschein zu nehmen.
»Was? Ist? Da?«, fragte Matthias.
»Der untere Teil einer skelettierten Leiche«, übernahm es Arvid zu antworten. »Etwa ab Oberschenkel abwärts.«
Matthias musste das sacken lassen, bevor er herausbrachte: »Na großartig. Das hatten wir ja noch nie.«
Sein Sarkasmus konnte die Beunruhigung in seiner Stimme nicht überdecken. Mir war sofort klar, dass er auf das Ereignis im Sommer letzten Jahres anspielte, als ebenfalls eine skelettierte Leiche
gefunden worden war. Zwar nicht auf diesem Grundstück, aber sie hatte trotzdem für eine Menge Wirbel gesorgt.
Ich spürte, dass er sich anspannte, als wolle er sich gegen etwas wappnen. So emotionslos, wie ich ihn seit einer Ewigkeit nicht mehr gehört hatte, fragte er: »Ist noch mehr von der Leiche
vorhanden? Ich würde helfen, aber ich kann nicht sehen, wohin ich trete, und will keine Knochen zermalmen.«
»Lass uns die anderen Matratzen wegschaffen, Greta«, sagte Arvid.
Ich hatte es bisher in meinem Leben noch nicht so hautnah mit einer Leiche zu tun bekommen und wollte auch gar nicht mehr sehen. Andererseits hatte ich das entschiedene Gefühl, dem hier auf den
Grund gehen zu müssen. Also bugsierten wir die Matratzen an die andere Wand.
»Und?«, fragte Matthias.
»Der Rumpf steckt in Männerunterwäsche – Unterhose und Unterhemd, die wohl vor langer Zeit mal weiß waren. Jetzt sind sie fadenscheinig und zerschlissen«, beschrieb Arvid den Anblick, der sich
uns bot. Stöhnend beugte er sich hinunter, um die Hände näher zu betrachten. Was von ihnen übrig war. Knochen.
Neugierig geworden? Dann: