Fischland-Mord - Leseprobe

Was Kassandra den beide Kriminalbeamten erzählte, entsprach absolut der Wahrheit. Als sie an der Stelle angelangt war, wo sie Arnold in der Seefahrtschule in diesem schrecklichen Zustand gefunden hatten, begannen ihre Hände zu zittern. Sie stockte und räusperte sich. »Entschuldigung. Das war ein Schock, ihn so zu sehen.«
»Ja, sicher, Sie waren ja gut mit Herrn Kesting bekannt«, stellte Dietrich sarkastisch fest.
Empört, aber immer noch mit zitternden Händen sah Kassandra ihn an. »Es ist vollkommen egal, wie gut ich mit Herrn Kesting bekannt bin! Mag ja sein, dass es Sie kalt lässt, wenn Sie jemanden finden, der drei Tage lang mit gebrochenem Fuß in einem dunklen Keller gehockt hat – mich nicht.«
»Verständlicherweise. Bitte beruhigen Sie sich, Frau Voß«, sagte Menning. »Brauchen Sie eine Pause?«
Dankbar sah Kassandra ihn an. »Würden Sie mir ein Glas Wasser aus der Küche holen?«
»Natürlich.« Menning verließ das Wohnzimmer.
»Mir kommen gleich die Tränen«, sagte Dietrich.
»Das ist nicht nötig.« Ruhig wandte Kassandra sich ihm zu. »Ich brauche nur Ihre Handynummer.«
Dietrich starrte sie an. »Wie bitte?«
»Ich kann nicht reden, wenn Ihr Kollege dabei ist. Es ist wichtig.«
»Was soll der Mist?« Dietrich war immer noch verblüfft, aber er wurde auch wütend.
Kassandra blieb nicht mehr viel Zeit. »Herr Dietrich, glauben Sie mir, wenn ich eine andere Möglichkeit sähe, als ausgerechnet Sie ins Vertrauen zu ziehen, würde ich sie nutzen. Ihre Handynummer. Bitte.« Sie hörte Menning aus der Küche kommen, während Dietrich sich kein Stück rührte. Das war ihre einzige Chance gewesen, sie hatte sie verpatzt. Außerdem lief sie Gefahr, dass Menning von Dietrich erfuhr, was sie gesagt hatte. Als Kassandra das Glas von Menning in Empfang nahm, war das Zittern ihrer Hände echt.
Langsam erzählte sie weiter und ließ nur aus, was Paul im Keller gefunden und dass sie und Jonas Tina Bodenstedt gesehen hatten. »Ich persönlich finde Herrn Kestings Geschichte glaubhaft«, schloss sie. »Da unten ist es stockfinster, in dem Raum liegen kreuz und quer Gegenstände, man kann sehr leicht stolpern. Wahrscheinlich hat er Glück gehabt, dass er sich nur den Fuß gebrochen hat.«
»Wir werden uns das ansehen. Die Ribnitzer Kollegen haben darauf verzichtet, weil laut Aussage von Herrn Kesting keinerlei Fremdverschulden vorliegt.« Menning warf Dietrich einen Blick zu. »Aber Herr Dietrich bleibt skeptisch, und ich mache mir auch lieber selbst ein Bild. Falls wir im Zusammenhang mit dem Mordfall Kind die Kriminaltechnik bestellen, müssten wir von Herrn Zepplin und Herrn Freese noch Fingerabdrücke nehmen, damit wir sie abgleichen können mit denen, die wir da unten finden. Ihre haben wir ja schon.«
Kassandra hätte sonst was darum gegeben, wenn sie gewusst hätte, was es mit Menning auf sich hatte und was er zu finden oder nicht zu finden hoffte.
Menning erhob sich. »Wissen Sie eventuell, wo wir Herrn Zepplin antreffen? Zu Hause ist er nicht.«
»Er hat einen Souvenirladen und ein Zeesboot am Hafen.« Sie sah auf die Uhr. »Wahrscheinlich ist er gerade auf dem Bodden unterwegs. Versuchen Sie es doch zuerst bei Herrn Freese.«
Menning und Dietrich verabschiedeten sich, und Kassandra überlegte fieberhaft, wie sie noch einmal Dietrichs Aufmerksamkeit auf sich lenken konnte. Ihr fiel nur eins ein, selbst wenn es das Verkehrteste sein sollte, was sie tun konnte.
»Herr Dietrich«, rief sie ihn zurück. Er verließ gerade hinter Menning das Haus und blieb sichtlich genervt stehen. »Was ist eigentlich aus diesem Zeugen geworden, der angeblich bestätigen kann, dass ich Josef Kind begegnet bin?«
Dietrichs Augen verdunkelten sich, und es war Menning, der antwortete. »Der ist letztes Jahr verstorben. Das muss Sven Larsen entgangen sein in seiner Zelle.« Er lächelte, aber das nahm Kassandra nur am Rande wahr. Sie sah Dietrich an.
»Erhöht das meine Glaubwürdigkeit?«
Wortlos drehte er sich um und ging an Menning vorbei zum Wagen. Menning zuckte mit den Schultern, immer noch lächelnd. »Kommt drauf an, aus welcher Perspektive man es betrachtet. Seine kennen Sie wohl.« Er nickte ihr zu und folgte Dietrich zum Auto.

 

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