Bodden-Tod - Leseprobe

Die Hufe III lag ruhig da, was hoffentlich ein gutes Zeichen dafür war, dass die Sintflut keine allzu großen Schäden hinterlassen hatte. Matthias Röwer zückte seinen Schlüssel und schloss auf. Drinnen war es ein bisschen düster, meine Augen mussten sich erst daran gewöhnen, während er direkt auf sein Büro zuging.
Mein Ziel war die Küche. »Möchten Sie auch einen Kaffee?«, fragte ich wider besseres Wissen.
Matthias Röwer überlegte kurz. »Warum nicht?«, sagte er dann und folgte mir.
In der Küche war es noch dunkler, dennoch machte ich eine reglose Gestalt am Tisch aus. Zuerst erschrak ich, bis ich sie erkannte. »Weshalb sitzen Sie denn hier im Dunkeln, Frau Fehning?«
Sie antwortete nicht, sondern richtete ihren Blick auf Matthias Röwer, der fast auf mich geprallt wäre, als ich so abrupt stehen geblieben war.
»Magda? Wieso bist du noch hier? Gibt's schlechte Nachrichten wegen des Regens?«
Sie räusperte sich. »Das kann man so sagen.«
»Dann raus damit. Sie werden nicht besser, wenn du sie zurückhältst.«
»Sie ...« Magda Fehning warf mir einen Blick zu.
Was hatte ich damit zu tun? Das Wetter konnte sie mir nun wirklich nicht anhängen.
Sie sah zurück zu Matthias Röwer und gab sich einen Ruck. »Was soll's, sie wird es ohnehin erfahren. Sie haben eine Leiche gefunden.«
Eine kleine Ewigkeit sagte niemand ein Wort. Der tropfende Wasserhahn war mir vorher nicht aufgefallen, mit einem Mal klang das »Plop« in die Spüle unnatürlich laut. Wie in Zeitlupe wandte ich mich Matthias Röwer zu. Er starrte in Magda Fehnings Richtung, und ich hatte das Gefühl, als würde sich unendlich viel zwischen ihnen abspielen, obwohl nichts gesagt wurde und niemand sich rührte.
Ich ertrug die Situation nicht länger. »Wo?«, wollte ich wissen.
Wenigstens erwachte Magda Fehning aus ihrer Reglosigkeit, Matthias Röwer dagegen stand noch immer auf demselben Fleck, als sie antwortete: »Auf dem Friedhof.«
Ich wollte schon erwidern, dass eine Leiche auf einem Friedhof ja nun nichts Ungewöhnliches sei. Instinktiv schaute ich vorher noch einmal zu Matthias Röwer, den die neue Sachlage wenig zu beruhigen schien. Immerhin fiel die Starre endlich von ihm ab.
»Frau Sievers, ich glaube, ich brauche jetzt wirklich dringend einen Kaffee. Wären Sie so nett? Magda, du auch?«
Magda Fehning schüttelte den Kopf.
»Dann erzähl«, forderte er sie auf, zog einen der Stühle zurück, der auf den Terrakottafliesen überlaut scharrte, und setzte sich.
Ich war froh, dass ich etwas zu tun hatte, doch als Magda schwieg, drehte ich mich am Kaffeeautomaten noch einmal um.
»Ich denke, wir besprechen das lieber unter uns«, meinte sie schließlich zu Matthias Röwer.
Das passte mir zwar nicht, aber es gab letztlich nichts dagegen einzuwenden. »Bin schon weg.«
»Nein, bleiben Sie«, sagte Matthias Röwer. »Sie leben in diesem Haus, was hier in der nächsten Zeit geschieht, geht Sie genauso an.«
Magda Fehning sah nicht glücklich aus, doch sie begann zu berichten.
»Gerade als die Leute kamen, die sich den Garten und den Keller ansehen sollten, tauchte Frau Groth hier auf, mit Augen so groß wie Unterteller, um mir brühwarm zu erzählen, was im Laufe des Vormittags passiert war. Sie kann ja von ihrem Haus zum Friedhof rübersehen und hatte eine Stunde zuvor mitbekommen, dass was im Busch war. Feuerwehr und Polizei standen da und noch ein paar Wagen. Sie ist rüber und hat sich erkundigt, was los ist. Jemand vom Amt hat ihr – vertraulich natürlich – erzählt, dass das viele Wasser letzte Nacht zwei Gräber und das gestern schon ausgehobene Grab für die Beerdigung von Franz Niemann unterspült hat. Das daneben ist dadurch so weit abgesackt, dass Erdreich und Teile dessen, was drin war, in die Grube rutschten, und als der Schaden näher unter die Lupe genommen wurde, stellte man fest, dass da zu viele Knochen lagen – zwei Schädel genau genommen.«
Magda Fehnings Finger verknoteten sich ineinander und entknoteten sich wieder. Matthias Röwer wartete. 

»Die Polizei hat das Grab komplett ausheben lassen«, fuhr sie fort. »Die Spurensicherung, Gerichtsmediziner, Pathologen, was weiß ich, wer dafür zuständig ist, sollten die Knochen einsammeln, um sie zu untersuchen. Da waren die gerade bei, als Frau Groth kam. Sie konnte nicht allzu viel sehen, war alles weiträumig abgesperrt.«
Ich räusperte mich. »Das könnten die Gebeine von sonst wem sein, wer weiß, wie lange die da schon gelegen haben. Es dauert vermutlich, bis man das Alter der Knochen einigermaßen genau bestimmen kann.«
»Ach, meinen Sie? Kennen Sie sich aus, oder was?« Magda Fehning klang dabei eher müde als sarkastisch. »Ich kenne mich natürlich auch nicht aus, aber ich schätze, man kann zumindest relativ schnell feststellen, ob die Knochen hundertachzig Jahre alt sind oder bloß, sagen wir, zehn.«
»Sieben«, sagte Matthias Röwer.

 

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