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Teil 1 "Die Entwicklung einer Geschichte" - Über das Autorendasein an sich und unter besonderer Berücksichtigung krimineller Fischländer Elemente

Als ich anfing zu schreiben - so mit 12 etwa - habe ich mir keinerlei Gedanken über Regeln gemacht. Über Genres schon eher. Ich las  damals schon hauptsächlich Krimis und kannte mich mit denen ganz gut aus, schreiben wollte ich aber einen Liebesroman. Damit hatte ich nicht viel Erfahrung, und so wurden auch nur drei Seiten draus ...

 

Viele Jahre später stand ich vor einem ähnlichen Dilemma. Ich hatte zwei Romane geschrieben - und mein Literaturagent war angetan. Aber leider hatte ich weder zwei  Krimis noch zwei Liebesromane geschrieben, sondern einen Reinkarnations- und einen Mafia-Roman. Mein Agent riet, ich möge mich für ein Genre entscheiden, das mache es für Verlage einfacher, mich einzuordnen. Ich entschied mich fürs Übersinnliche statt für die Mafia. Damit klappte es dann, zwar nicht mit dem schon fertigen Roman, aber mit einem anderen Stoff, der als "Eileens Geheimnis" angekauft wurde und 2005 erschien. 2005 war aus noch einem weiteren Grund bemerkenswert – da setzte ich nämlich zum ersten Mal meinen Fuß aufs Fischland. Nicht ahnend, was das alles nach sich ziehen würde. Oder vielleicht doch irgendwie ahnend. Weil … ich glaub ja nicht an Zufälle, und deshalb glaub ich auch nicht, dass ich da zufällig landete. Auch nicht, dass es Zufall war, dass es uns dort, wo wir eigentlich hin wollten, nicht gefiel, und wir deshalb weiter nach Wustrow fuhren. Auch nicht, dass wir schon fast bei der Mühle waren, als mein Mann Jörg vorschlug, noch mal zurück und die Strandstraße runterzufahren. Weil es da nämlich begann. Als wir unten bei der Seenotstation angekommen waren, wussten wir ohne jeden Zweifel, dass wir bleiben wollten. Und ich wusste ein paar Tage später mitten auf der Strandstraße, dass ich unbedingt was schreiben wollte, was hier spielt. Meine ganz spezielle Inspiration dazu war dies:

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Ich habe damals die Villa "Daheim" für "Die verborgene Kammer" aus dramaturgischen Gründen schräg gegenüber der Wustrower Seenotstation platziert, aber selbst beim Schreiben hatte ich sie immer dort im Kopf, wo sie tatsächlich steht.

 

Nach der "Kammer", die 2009 erschien, gab es eine kleine kreative Pause, aber ich wusste trotzdem immer, dass ich schriftstellerisch auf dem Fischland bleiben wollte. Ich erwähnte gerade das Problem der unterschiedlichen Genres. Heutzutage ist es deswegen oft üblich, für ein anderes Genre ein Pseudonym zu wählen. Meine kleine Veröffentlichungspause von drei Jahren zusammen mit unserer schnelllebigen Zeit hatte einen Vorteil: Ich brauchte kein Pseudonym, als ich meinem Agenten und der wiederum dem Emons Verlag das Exposé zu einer Fischland-Krimi-Serie vorschlug. Die damit beginnen sollte, dass - genau wie in der "Kammer" - jemand neu aufs Fischland kam.

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Kassandra Voß hatte sich bei einem einzigen - eher unrühmlichen - Besuch ins Fischland verliebt und beschlossen, sich allen Unwägbarkeiten zum Trotz genau hier niederzulassen und eine Pension zu eröffnen. Sie wusste so gut wie nichts von diesem Landstrich, obwohl sich am Ende des ersten Bandes herausstellt, dass ihre Familie aus Wustrow stammt. Anders als in der "Kammer" die Protagonistin Viktoria, die zunächst mal wenig Kontakt zu den Fischländern hat, bekommt es Kassandra mit lauter Alteingesessenen tun. Was ihr zu Anfang gar nicht so recht ist, weil sie befürchtet, aufgrund ihrer Vergangenheit gehasst zu werden. Ihr Ex-Mann Sven Larsen nämlich hatte einige Jahre zuvor die Fischländer mit einen Bauprojekt um die Seefahrtschule an der Nase herumgeführt und um eine Menge Geld betrogen. Als ob das nicht schon reichte, findet Kassandra, kaum dass sie ihre Pension eröffnet hat, auch noch eine nasse Leiche in einem ihrer Gästezimmer. Damit fängt alles an.

Allem Anfang wohnt ja bekanntlich ein Zauber inne - in diesem Anfang wohnte allerdings auch eine Menge Arbeit. Bisher habe ich noch nichts vom schriftstellerischen Schaffen an sich erzählt - um zu veranschaulichen, wie das aussieht, eignet sich der erste Fischländer Mordfall recht gut.


Da ein Verlag logischerweise nicht die Katze im Sack kaufen will, erstellt ein Autor zunächst mal ein Exposé, in dem die Hauptfiguren und die Handlung des geplanten Romans dargelegt werden. Für mich stand fest, dass ich keine Polizeikrimis oder Romane um professionelle Privatdetektive schreiben, sondern mich in der Tradition der Miss Marple-Romane von Agatha Christie bewegen wollte. Also wo jemand mehr oder weniger zufällig über Verbrechen stolpert und die dann - besser natürlich als die Polizei - aufklärt.


Zuerst brauchte ich das Personal mitsamt der zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Ermittlerin sollte möglichst keinen 8-Stunden-Arbeitstag in irgendeinem Büro haben - wenn man nur nach Feierabend und am Wochenende ermitteln kann, ist das irgendwie doch ziemlich hinderlich. Eine Schriftstellerin hatte ich schon in der „Kammer“ verbraten, also musste ich mir was anderes einfallen lassen. Natürlich ist mir klar, dass eine Pensionsinhaberin auch jede Menge zu tun hat, aber sie kann doch ihre Zeit etwas freier einteilen - und sie bekommt es außerdem vermutlich bei ihrem Job mit den unterschiedlichsten Typen zu tun. So entstand Kassandra Voß.

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"Kassandra öffnete die Fensterläden und sah die Straße hinauf und hinunter. Kapitänshäuser mit hübschen Vorgärten, bunten Türen und Fenstern und kleine ältere Villen standen dort, gesäumt von Lindenbäumen. Es herrschte eine himmlische Ruhe, und daran würde sich im Verlauf des Tages auch nicht viel ändern. Selbst jetzt, im Sommer, kamen nur gelegentlich Spaziergänger in die Lindenstraße - und natürlich Urlauber, nicht zuletzt die Gäste ihrer Pension 'Woll tau seihn', die sie vor zwei Monaten eröffnet hatte."

 

Ich bin übrigens oft gefragt worden, wieso ich die Protagonistin denn um Himmels Willen ausgerechnet Kassandra genannt hätte. Ehrlich gesagt: keine Ahnung. Manche Figuren sagen mir sehr deutlich, wie sie heißen wollen, da denke ich dann nicht länger drüber nach, sondern lasse ihnen den Willen.

Nächster Schritt: Mit wem arbeitet Kassandra zusammen? Schließlich löst man einen Mordfall ja am besten im Team.
Ein Nachbar – pensionierter Polizist. Hmmm. Zu einfach. Der eignet sich vielleicht sogar besser als Gegenspieler. Grantiger älterer Mann, den niemand so recht leiden kann. Heinz Jung war geboren.
Aber was ist denn nun mit dem Team?

Man hat ja glücklicherweise oft mehr als einen Nachbarn, und Kassandras zweiter ist attraktiv, im richtigen Alter und macht etwas typisch Fischländisches: Zeesbootfahrten für Urlauber und einen Souvenirladen am Hafen betreiben: Jonas Zepplin. Zwei können ein Team sein, aber irgendwie fehlt da noch was, denn es wäre ja möglich, dass man im Zuge der Ermittlungen mal ein bisschen tiefergehendes Fischländer Wissen benötigt, da braucht man einen Fischland-Experten. Am besten ein ganzes Stück älter, väterlicher Freund, der das Ermittlerpaar immer unterstützt, wenn es nötig ist: Paul Freese.

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"Kassandras Blick glitt über den großen Mann Anfang, Mitte fünfzig, der in Jeans und mit bis zu den Ellbogen aufgerollten Hemdsärmeln vor ihr stand. Er hatte volles graues Haar und eine auffällig lange Nase im Gesicht, das man am schmeichelhaftesten als interessant bezeichnen konnte. Sein Kinn zierte ein Grübchen. Sie wusste, wer Paul Freese war – jeder in Wustrow kannte ihn, während er selbst noch mehr Leute kannte und alles über das Fischland wusste, was es zu wissen gab."

Team komplett. Nun brauchen wir noch Opfer, Verdächtige und Täter. Wer ist das Opfer und warum? Fischland = Kunst und Galerien. Also ein Kunstgutachter, der einer Fälschung auf der Spur ist. Aber da in Krimis nur selten etwas so ist, wie es auf den ersten Blick scheint, wird zwar ein Kunstgutachter ermordet, aber aus einem ganz anderen Grund. In meinen vorherigen vier Romanen ging es zwar auch immer wieder um Verbrechen, aber nicht in erster Linie. Im Mittelpunkt hatten Liebe und Leidenschaften gestanden. Nun stand im Mittelpunkt das Verbrechen und deren Aufklärung, aber das Motiv … das Motiv sollte Liebe und Leidenschaft sein. Der Täter tötet, um die Liebe seines Lebens zu schützen. Vermeintlich jedenfalls, denn eigentlich manipuliert die Liebe seines Lebens den Täter genau dahingehend, den Mann aus dem Weg zu räumen, den sie los werden will. Was letzten Endes sogar wieder was mit der Kunst zu tun hat. Tja. Ich hab's eben auch mit Verwicklungen ...

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Um es auf den Punkt zu bringen: Kassandra findet in ihrer Pension den toten Kunstgutachter und macht sich hauptsächlich mit Jonas und mit dem einen oder anderen hilfreichen Hinweis von Paul daran, den Mord aufzuklären, weil sie von der unfähigen und im weiteren Verlauf der Handlung nicht weiter auftauchenden Polizei selbst verdächtigt wird.

So weit, so gut zur Entwicklung. Bis ein Exposé von einem Verlag geprüft wird und man als Autor das Okay bekommt, kann einige Zeit ins Land gehen. In meinem Fall war das gar nicht so viel Zeit, aber zwischenzeitlich war etwas Wesentliches passiert: die Polizeistrukturreform in Mecklenburg-Vorpommern. Ja, super. Auch wenn die Polizei nur eine verschwindend geringe Rolle spielen sollte, sollten doch die Zuständigkeiten korrekt sein. Das bedeutete, alles, was ich für das Exposé recherchiert hatte, konnte ich in die Tonne treten und musste noch mal neu beginnen. Zuvor gab es eine Kriminapolizeiinspektion im schönen Stralsund. Wo war die jetzt? In Anklam. Ähm. Wo? Anklam? 130 km entfernt? Das glaubt mir doch kein Mensch - und wurde mir übrigens tatsächlich mal als Fehler in einer Rezension angekreidet. Aber anders als das ZDF, das ihre Mordkommission einfach weiter in Stralsund beließ, wollte ich es eben gern korrekt.

Dann fing ich endlich an zu schreiben. Und merkte relativ schnell, dass die Polizeistrukturreform nichts war im Vergleich zu der Reform, die meine eigenen und im wahrsten Wortsinn eigenwilligen Figuren von mir verlangten.

 

Dazu dann mehr in Teil 2, der bald hier zu lesen sein wird. ;-)